Um im Lutherjahr die Lutherstadt zu besuchen, braucht es schon etwas sehr Zugkräftiges, damit ich es tue. Die in eben diesem Rahmen stattfindende Ausstellung zeitgenössischer Künstler, mit „Luther und die Avantgarde“ betitelt, war das. Fazit vorab: ich bin sehr froh, beides – also das Örtchen Wittenberg und die Ausstellung – besucht zu haben.
Kunststiftung stiftet an – Künstler und Besucher
Auslöser war früh im Jahr ein Bericht von damals noch Dradio Kultur über die eigens kuratierte Ausstellung im ehemaligen Gefängnis der Stadt. Dem Bericht nach schien es spannend, sich die Arbeiten der eingeladenen Künstler anzusehen: Sie waren nämlich aufgefordert, sich thematisch mit der futuristischen, verändernden und in gewisser Weise eben avantgardistischen Haltung Luthers und dem Ausstellungsraum auseinanderzusetzen. Die Beschreibungen einiger Arbeiten taten ihr übriges – und so reiste ich nach Wittenberg. Nach den Hauptfeierlichkeiten, aber rechtzeitig genug, vor Ende der Ausstellung am 17.September … *
*Hinweis für Kunstfreunde mit Spontanität: unbedingt hingehen!
Wiederspruch ist was uns antreibt
Was mich als allererstes beeindruckt hat, war die Stimmung und das totale sich auf das Thema einlassen, dass die Kreativen sofort erreicht haben. Einfach dadurch, dass sie sich alle intensiv und auf ihre ganz persönliche Weise dem Avantgardistischen genähert haben, unabhängig von religiösem Hintergrund, doch längst nicht im krassen Gegensatz oder unchristlich. Mit dazu bei trägt das Gebäude und die Auseinandersetzung auch damit. Einige Arbeiten sind speziell für und in diesen Räumen entstanden, sie entfalten und vereinnahmen die Zellen, die Kellerräume oder das Treppenhaus für sich. Dazu gehört auch eine Gruppe von Sprechern, die sowohl die Hör-Loch-Installationen „besprechen“ als auch dialogische Szenen inszenieren – im Gebäude, zwischen den Besuchern, einzeln oder in einer Vierer-Gruppe, jedes Mal gut artikuliert und Aufmerksamkeit erzeugend. Luthers Texte – oder zumindest nah dran – in einem ehemaligen Frauengefängnis interpretiert – ist das nicht ein Widerspruch? Videokunst lässt sich schwer bildlich einfangen, darum hier ein kurzes Statement zum „Casting Jesus“-Video: Lang, aber packend und irgendwie skuril-faszinierend rief es auf zur Auseinandersetzung, sowohl beim Hören (oder lesen; das Video war auf itailienisch) als auch im Kopf beim Erfassen der Bilder.
Hier und jetzt und Luther und Snowden
Es ist ebenso ein Widerspruch wie die Installation im Freien, deren Wirkung nicht erst durch einen Drohnenflug deutlich wird: Ein Bild, das wir alle in den letzten Jahren oft gesehen haben – in Pixeln. Drinnen ein Film über die Entstehung – das liebevolle Streichen jeder einzelnen Bodenplatte inklusive. Beides, Installation und Film, regt zum Nachdenken an und ich wünschte mir mindestens den Film in einer Mediathek – als eindrucksvolles und wirksames Medium für die digitale Aufklärungsarbeit. Für Skeptiker, Eltern, Lehrer und Schüler. Liebe Evangelische Kirche in Deutschland, liebe Stiftung Kunst, lieber Achim Mohné, ist das machbar? Das würde dann auch länger als die Ausstellungs-Website leben …
Übrigens ebenso bemerkenswert: so viel Künstlerinnen, die eingeladen waren und sich beteiligt haben!Und in diesem Zusammenhang auch ein „Danke“ wert: das kleine feine Begleitheft, das zwar nicht alle Arbeiten beinhaltet, aber einen guten Eindruck vermittelt und außerdem auf die beiden Satteliten-Orte der Luther-Ausstellung aufmerksam macht. „Ein Leuchtturm für Lampedusa“, Installation auf und die weiteren Installationen im Inneren der Kasseler Karlskirche, haben selbstverständlich auch einen Besuch abbekommen, als ich im Rahmen der Documenta dort war.
Weil mich so viele Bilder bewegt und beschäftigt haben, habe ich hier eine Auswahl in einer Fotogalerie zusammengestellt, mit meinen persönlichen Blicken auf die Kunstwerke. Interpretation ist eines jeden eigenes Ding. Feel free to do and to comment.
Unter dem Pflaster …
Zweiter Teil des Aha-Effekts war ein Rundgang durch den Ort Wittenberg. Auch das ist etwas, das bei mir Eindruck hinterlassen hat. Wittenberg, seit 1938 mit dem offiziellen Namenszusatz Lutherstadt, ist – auch ohne Jubiläumsjahr – ein ansehnliches Städtchen. Ruhig aber trotzdem lebendig. Neben Luther war auch Cranach der Ältere (also eigentlich alle Cranachs) dort beheimatet, dem ich über die Schulter blickte. Was mich irritierte: Dass das Gefängnis eigentlich in der Öffentlichkeit nur als „ehemaliges“ oder „altes“ und keinesfalls als „Frauengefängnis, das noch Mitte der 60er in Betrieb war“, bekannt ist. Letzteres weiß ich nur, weil ich beharrlich nachfragte bei den „Einheimischen“ – und eine fand, die es mir sagte. Falls jemand eine offizielle Quelle weiß (außer ein Stadtarchiv, das ich, da am Wochenende unterwegs, nicht anfragte): ich wüsste gerne noch etwas mehr darüber … Doch auch sonst kann Wittenberg punkten. Mit Luther vielleicht noch ein bisschen mehr. Die Bildergalerie gibt meine Eindrücke wieder.
P.S.: Ach ja, das „360-Grad-Panorama“ besuchte ich auch. Viel Arbeit steckt drin – es gibt was zu sehen, aber die Luther-Thesen-Tür an der Schlosskirche hinterlies ungefähr den gleichen Eindruck und war nicht so teuer.
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